
Wir spazierten durch das kleine Dorf. Es bestand aus einfachen Holzhütten, Baracken. Wir waren eine Sehenswürdigkeit. Gefühlt kamen alle, die gerade nichts anderes zu tun hatten, angelaufen, um uns zu bestaunen. Weiße waren offensichtlich selten dort. Und so eine große weiße Frau, wie mich, hatten sie noch nie gesehen. Kinder und Erwachsene wollten mich berühren, spüren, wie sich meine Haut anfühlt, meine langen Haare. Und freuten sich, dass ich dies gerne zuließ. Sie strahlten eine angenehme Energie aus, lachten fröhlich mit mir. Und trotz ihrer großen Armut wirkten sie auf mich irgendwie glücklich.
Einige Zeit nach unserem Aufenthalt in diesem Land hatte sich dort viel verändert. Das Land hatte sich aus dem Korsett einer Militärdiktatur befreit, und die neue Präsidentin war eine Friedensnobelpreisträgerin. Sie hatte versprochen, das Land für westliche Investoren zu öffnen, und viele sahen darin ihre Chance. Aufbruchstimmung. Aber wohin würde das Schiff dieses Landes dampfen? Wer gab den Kurs vor?
Zu meinem Entsetzen hörte ich die nächste Zeit über dieses wunderschöne Land hauptsächlich im Zusammenhang mit einer groß angelegten Verfolgung und Vertreibung der schon lange unbeliebten muslimischen Minderheit dort.
Die Proteste Europas und der USA gegen die Tötungen und Vertreibungen waren damals eher lau. Kein Vergleich mit der ans Groteske grenzenden Empörung, mit der man sich gegenüber Weißrussland und Russland gerade wegen der Festsetzung jeweils eines Oppositionellen gefiel. [Maßstab für die Empörung ist eben nie die Tat an sich, sondern, welches Verhältnis die USA zum „Täter“ haben (die für ihre eigenen „Taten“ selbstverständlich ohnehin immer ent“schuldigt“ sind…).]
Plötzlich jetzt vor Kurzem hieß es in dem betreffenden Land wieder: Militärputsch. Sozusagen rechtsdrehend zurück in die Militärdiktatur. Für mich kam das überraschend. Ich hatte mich mit dem Land nicht mehr näher beschäftigt. Die Hintergründe blieben daher für mich im Dunkeln. Aber ich hörte den amerikanischen Präsidenten Biden kurz darauf sagen: „Die USA werden ihre Interessen in der Region wahren, auf welche Art auch immer.“
Das fand ich irritierend vielsagend. Das Land grenzt an China. Die USA haben dort strategische Interessen, vermutlich auch Interesse an Rohstoffen.
Die nächsten Tage sah ich in der Tagesschau Demonstrationen aus dem Land. Ein großer Teil der Demonstrierenden hielt englischsprachige Schilder in den Händen.
Irgendwann hieß es, das Militär schieße scharf, um die Demonstrationen zu beenden. Dann wurde kaum noch berichtet aus diesem Land, das ich so wunderschön gefunden hatte.
Was mag den Menschen dort widerfahren sein? Hat sich für das kleine Dorf etwas verändert? Wurden die Leute glücklicher, als sich das Land für die westlichen Investoren öffnete?
Manche vielleicht. Manche vielleicht auch reicher. Insbesondere vermutlich die Investoren.
Was geschieht dort jetzt? Was ist die Wahrheit über das, was passiert ist? Das, was ich in der Tagesschau zu sehen bekomme, hat mit „Wahrheit“ nicht viel zu tun. So viel ist klar.
Aber selbst, wenn ich dorthin führe, würde mir nicht jeder eine andere „Wahrheit“ erzählen? Und wäre das, was ich mit meinen eigenen Augen sehen würde, nicht auch nur meine eigene „Wahrheit“?
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Wie immer mit Dank an Christiane für ihre liebevolle Betreuung der abc-Etüden, deren Regeln hier Schreibeinladung für die Textwoche 22.21 | Extraetüden | Irgendwas ist immer (wordpress.com) zu finden sind. Und an die Wortspender der letzten beiden Runden!
Eine sehr inhaltsreiche Etüde wieder, liebe Maren. Myanmar, so weiß Wikipedia, „ist ein Vielvölkerstaat mit rund 53 Millionen Einwohnern, die 135 verschiedenen Ethnien angehören“. Da ist es freilich schwer, sich als Besucher ohne intime Kenntnis der Geschichte und ohne Beziehungen zu Menschen ein Urteil zu bilden. Leider kennen unsere Journalisten in der Regel solche Zögerlichkeit nicht und „wissen Bescheid“, wenn sie mit einer oder zwei Personen gesprochen haben – oder nicht mal das. Und ziehen Schlüsse, ob und wie zu intervenieren wäre. Und verkaufen es an die Leser. Oder schweigen wie jetzt, weil ihr Augenmerk grad woanders hingerichtet ist (hinrichten – was für ein Wort in diesem Zusammenhang!)….. Politik ist eine Frage der Interessen (wessen Interessen?) und nicht der Menschlichkeit und des menschlichen Glücks. Und Journalismus ist der mehr oder weniger willfährige Kommunikator zwischen herrschender Politik und Leserschaft.
Das alles hast du in deiner Etüde auf feine und nicht auf meine grobe Weise vermittelt
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Danke dir, liebe Gerda, für diesen schönen Kommentar, und das darin enthaltene Kompliment, über das ich mich sehr freue! Wobei ich deinen Kommentar keineswegs als „grob“ empfinde, sondern als schöne Ergänzung, die den Inhalt meiner Etüde elegant auf den Punkt bringt!
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Ja, jeder sieht nur/primär seine eigene Wahrheit, das ist leider wahr. Ob es eine „Wahrheit“ ist, die aus mangelndem Überblick erwächst, die vorgegeben wurde oder bequemerweise (oder unter Druck) so und nicht anders vermittelt wird, muss dabei immer bedacht werden.
Gutes Zitat von Biden, sehr bezeichnend. Wie so oft führt es mich wieder zu der Frage: Wie/wohin fließt das Geld?
Ich bin oft desillusioniert, und „gut gemeint“ ist nicht automatisch gleichzusetzen mit „gut“ …
Herzliche Grüße und danke dir für deine Etüde! 😀
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Wahrscheinlich gibt es DIE Wahrheit auch nicht, zumal ja ganz oft den einen schadet, was den anderen nutzt. Und auf etwas längere Sicht stellt sich Vieles dann noch mal wieder ganz anders dar. Was einem Land vermeintlich genutzt hatte, hat manchmal im Nachhinein doch eher geschadet. Oder jedenfalls ganz anderes bewirkt, als ursprünglich gedacht. Bei manchen „Interventionen“ der USA in die Angelegenheiten anderer Staaten, glaube ich, dass sie zwar vielleicht „gut gemeint“ waren, aber im Endeffekt viel Leid gebracht haben. Danke dir und herzliche Grüße zurück (diesmal mit Kaffee … :-)).
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Mein Schockerlebnis in diesem Zusammenhang war die erwiesene Aggressivität der buddhistischen Mönche in Myanmar und das Schweigen der Friedensnobelpreisträgerin. Sie schweigt schon lange …
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Das hatte mich damals auch schockiert, dass es da wohl insbesondere einen(?) buddhistischen Mönch gegeben hat, der extrem hetzerisch unterwegs gewesen sein muss. Für mich war das ein echter Kontrast, denn die Mönche, die ich dort erlebt hatte, hatten für mich Friedfertigkeit und Ruhe ausgestrahlt, eben das, was ich auch erwartet hätte (und es vielleicht aufgrund meiner Erwartung so wahrgenommen habe …?).
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Als Außenstehende/r kann man das wahrscheinlich nicht beurteilen. Ich erinnere mich gut an Bilder von Menschen in Mönchskleidung in Tibet, die sich äußerst aggressiv verhalten haben. Dann hat sich herausgestellt, dass es verkleidete chinesische Soldaten waren. Fast jeden Tag schon gibt es solche Vorkommnisse. Einer der Gründe warum ich es extrem irritierend finde, wenn jemand behauptet, bei allem und jedem den totalen Durchblick zu haben …
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Das ist ja das, was ich u.a. ausdrücken wollte: Man weiß selten, was wirklich die Wahrheit ist, so es sie denn überhaupt gibt. Bilder können viel vorspielen, und werden ja heutzutage auch sehr gezielt eingesetzt. Und hinzu kommt eben auch noch, dass sich die „Wahrheit “ auch schon ganz ohne Manipulation für die eine Seite meist ganz anders darstellt, als für die andere…
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Dieser ergreifende Bericht klingt sehr wahrhaftig. Und es scheint, als sei dies alles persönlich erlebt worden, so echt. Und keiner spürt, daß dafür einige Wörter zugrundliegen.
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Vielen Dank :-)! Ja, es ist ein „echter“ Erlebnisbericht. Das Land und die Menschen dort hatten mich damals sehr beeindruckt. Umso mehr hatten mich dann die späteren Berichte über diese Vertreibungen betroffen gemacht.
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Ja, die Gegensätze schreien zum Himmel, finde ich. Das kann ich ziemlich gut nachempfinden.Hier geht es um persönliche Erlebnisse. Das andere ist dann Strategie…
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Was mich immer wieder überrascht, wie schnell bei Gewalt ein religiöser Hintergrund vorgeschoben wird. Vielleicht hilft (dir) dieser Beitrag, um Myanmar und seine Menschen besser zu verstehen: https://nandalya.wordpress.com/2016/07/08/die-gewalt-im-buddhismus/
Man muss nicht immer die CIA hinter einem Putsch vermuten. Vielleicht ist es vielen unbekannt, aber der französische Konzern TOTAL fördert Erdöl in Myanmar. Vielleicht interessant: https://www.siper.ch/assets/uploads/files/zeitungsartikel/Schweizer%20Soldat%20(2006)%20-%20Erdoel%20und%20Privatarmeen.pdf
Aber natürlich hat der Militärputsch nichts mit Öl zu tun. Es gibt noch andere Interessen: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/deutsche-und-internationale-konzerne-muessen-unterstuetzung-der-militaerjunta-beenden?gclid=EAIaIQobChMIva2HpYf58AIVxZrVCh1ZdgswEAMYASAAEgKGUPD_BwE
(Geo)Politik kann so einfach sein, wenn man über den Tellerrand blickt.
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Danke dir für die interessanten Links! Buddhismus selbst ruft sicher nicht zur Gewalt auf – ebenso wenig, wie das Christentum. Gewalt entsteht nur, wenn Religionen politisiert werden. Das ist im Buddhismus seltener, weil es hier keine Institution gibt, die einen eigenen Machtanspruch erhebt (wobei Tibet nochmal ein Sonderfall ist). In Myanmar besteht eine besondere Form des Buddhismus, die mir besonders kompliziert und komplex erschien, (der tibetische Buddhismus erscheint mir auch sehr komplex … ). Wie in Japan auch, hat sich der Buddhismus in den Staaten, wo ich mich näher damit beschäftigt habe, immer auch mit den älteren schamanischen Religionen vermischt.
Ich vermute die CIA nicht hinter dem Militärputsch. Ganz im Gegenteil! Der Putsch schien gerade nicht im dortigen Interesse. Meine implizite Vermutung ging eher dahin, dass die USA die Demonstrationen dagegen aktiv unterstützt. Was menschenfreundlich sein kann…, oder aber sich für die Menschen dort negativ auswirken kann.
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Es ist immer wieder auffällig, dass (halb) vergessene Länder wie eben Myanmar, plötzlich in die Schlagzeilen kommen. Wer genau recherchiert, wird sehr oft auf wirtschaftliche Interessen stoßen. Je nachdem wo sich dieses Land befindet, wer der Nachbar ist, wird diesen möglicherweise eine fremde Präsenz stören. Wer will schon eine „Baustelle“ vor der eigenen Haustür haben. Im Fall der Ukraine war es eigentlich recht einfach die sich streitenden Parteien zu sehen. Der deutsche Mainstream hat das natürlich verschleiert. Auch was in Syrien geschah, ist ein offenes Geheimnis. Aber im Westen lag der Fokus ausschließlich auf dem „Schlächter Assad.“ Myanmar ist komplizierter und auch wieder nicht. Dort gibt es Vorurteile gegen Minderheiten. Die werden von „Interessenvertretern“ ausgenutzt und westliche Medien berichten empört von buddhistischer Gewalt. Dümmer geht es nimmer.
Christentum und Gewalt ist so eine Sache. Im Alten Testament finden sich diverse Aufrufe zur Gewalt, die immer wieder zur Durchsetzung irdischer Machtansprüche dienten. Solche Zitate oder Aufrufe fehlen in den buddhistischen Schriften. Im Namen Buddhas wurden bisher keine Kriege oder gar Kreuzzüge geführt. Die, das behaupte ich, schon im Mittelalter keinen rein religiösen Hintergrund hatten. Allerdings haben das die einfachen Soldaten nicht gewusst. Sie starben für „Gott und Vaterland.“ In der Neuzeit hetzt „man“ erneut Christen und Muslime aufeinander. Mit einem Gott hat auch das sehr wenig zu tun. Stichwort Erdöl.
Fazit: Die einfachen Menschen in Myanmar sind erneut die Opfer, die Schachfiguren in einem kaum zu durchschauenden Spiel politisch-wirtschaftlicher Interessen.
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Das ist genau der Punkt: Die einfachen Menschen vor Ort sind in diesen „Spielen“ eigentlich immer die Opfer… .
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Hallo Maren,
ich nehme bei Nachrichten (leider) die Haltung der Vorsicht ein – gerade, wenn ein Thema den eigenen Schatz an Erfahrung und Selbsterlebten und gesammeltes Wissen berührt. Zu oft stört mich der eindimensionale Blick – eine kleine Momentaufnahme und weiter. Auch wie Nachrichten nicht weiter berichten beschäftigt mich mehr als manchmal der Inhalt. Es läßt zwischen den Zeilen lesen oder doch nur vermuten…. Ich mag Deine Deine Art der Betrachtung.
LG Doro
https://www.doro-art.com
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Vielen Dank, liebe Doro! Warum „leider“ die Haltung der Vorsicht? Ich teile deine Herangehensweise vollkommen, lese auch eher zwischen den Zeilen und immer öfter auch gar nicht …, weil ich immer seltener der Meinung bin, dass mich das, was ich durch „Nichtlesen“ oder hören „verpasse“, irgendwie weiter gebracht hätte. Letztlich: Es hat Erinnerungen bei mir ausgelöst. Aber ändern an der Situation in Myanmar kann ich nichts … .
Liebe Grüße
Maren
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Toller, bereichernder Einblick. Ich stelle mir vor, das war eine wundervolle Reise. Mit solchen Erinnerungen berühren manche Meldungen besonders. Ich hoffe mit Dir, dass es den Leuten in dem Dorf gut geht.
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Danke dir! 💞 Ja, das war eine wundervolle Reise damals.
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