
Behutsam nahm er das Falkenjunge aus dem Sack, den sein Kollege zu ihm heruntergelassen hatte, als plötzlich die Stimme einer Frau erklang.
Sie musste sich auf der Bank hinter ihm niedergelassen haben: „Was machen Sie denn da?“
Konzentriert weiterarbeitend antwortete er: „Wir sind vom Naturschutz. Wir beringen den Falken mit einem GPS-Sender, damit wir seinen Verbleib beobachten können.“
„Naturschutz?!
Meinen Sie nicht, dass Sie dem Vogel vielmehr gerade schaden? Ihn verängstigen? Und er vielleicht auch gar keine elektronische Fußfessel will!?“
„Gute Frau, wir sind Naturwissenschaftler! Wir wissen, was wir tun. Der Vogel merkt davon gar nichts!“
„Aha. Und woher WISSEN Sie das?
Sie „Naturwissenschaftler“ haben doch keine Ahnung vom Lebendigen!
Eine Menschheit, die versucht, die Natur mit Wiegen, Zählen, Messen und Kontrollieren zu begreifen… . Die hat sich abgetrennt von dem, was Natur und Leben eigentlich ist.
Sie schneiden Tiere auf und schauen sich die Organe an und denken, Sie hätten etwas verstanden?! Manchmal nähen Sie das Tier hinterher wieder zu. Und manchmal lassen Sie es einfach sterben.
Denn von dem Eigentlichen, von dem, was Leben ist, davon WISSEN Sie nichts!
Ihre „Wissenschaftler“ achten das Lebendige nicht! Und das, junger Mann, ist unverzeihlich!
Wenn Sie die Natur schützen wollen, dann retten Sie sie vor Wissenschaftlern, die ständig unbedarft und aktionistisch in die Rhythmen der Natur eingreifen, ohne sie zu verstehen!
Es wäre ein echter Hoffnungsschimmer für diese Welt, wenn die Menschen endlich anfangen würden, der Natur und dem Leben zu vertrauen!!!
Und ihre Anmaßung aufgeben würden, dass sie es „besser“ könnten, als die Natur!!!“
Empört richtete er sich auf und drehte sich um, um dieser aufdringlichen Eso-Tussi eine geharnischte Antwort zu geben.
Die Augen des Falkenweibchens, das plötzlich hinter ihm auf der Bank saß, waren messerscharf. Der Blick durchstach seinen Körper. Er sank in die Knie.
Die Frau war spurlos verschwunden.
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Wie immer geht ein besonderer Dank an Christiane, deren aktuelle Etüdeneinladung hier https://365tageasatzaday.wordpress.com/2022/01/02/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-01-02-22-wortspende-von-ludwig-zeidler/ zu finden ist.
Wieder etwas zum Nachdenken. Über dies Beringen natürlich auch, vor allem aber über diese Grundeinstellung.
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„Behutsam nahm er das Falkenjunge aus dem Sack..“ Schön, diese Behutsamkeit, oft mit großer Achtsamkeit verbunden. Im Dienste der „Wissenschaft“. Ja, dadurch wurden auch wunderbare Zusammenhänge erkannt.
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Als Beirag wieder aufrüttelnd und großartig! Mancher Schleier wird uns von den Augen gezogen.
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Die Wandlung am Ende gefällt mir sehr. Doch meine ich, es wäre gut, der Sprache der Natur noch mehr nachzusinnen: wie spricht sie zu den Menschen? Belehrend? Anklagend? oder wie?
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Weder belehrend noch anklagend, die Natur zieht einfach nur die not-wendigen Konsequenzen … .
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Doch, sie spricht – sie zieht nicht nur Konsequenzen. Sie spricht durch jedes ihrer Wesen auf je besondere Art.
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Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass es Wissenschaft gibt, die das Leben achtet, gerade im Naturschutz, wo gezählt, gemessen und gewogen werden muss, um zu verstehen, um Natur erhalten und Freiräume wieder schaffen zu können.
Wo das Ganze allerdings zum Feigenblatt, zum Vorwand für naturausbeuterische Interessen und/oder Eigennutz wird, spricht es eine andere Sprache. Und das eine vom anderen zu unterscheiden ist nicht immer leicht, vor allem, weil gut gemeint nicht zwangsläufig gut ist, wie wir auch alle wissen. 🤔😏
Mag deinen Schluss sehr. 🧡
Liebe Grüße, herzlichen Dank!
Nachmittagskaffeegrüße 😁☁️☕🍪👍
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Tja, ich bin ja nicht so überzeugt, dass man durch wiegen, messen und zählen VERSTEHEN kann… . Wissenschaft, die die Natur und das Leben achtet – und sozusagen mit der Natur gehend Neues erschafft, die schätze ich durchaus sehr. Aber unsere derzeitige Wissenschaft scheint mir in vielem eher GEGEN die Natur zu handeln, sie kontrollieren oder gar bekämpfen zu wollen, weil man ihr misstraut. Und meint, es „besser“ zu können.
Herzliche Nachmittagsteegrüße zurück 💖
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Ja, aber brauchst du nicht Mittel, um zu verstehen? Was würdest du da als passend akzeptieren? Beobachtung, klar. Was noch?
Und auch ja, deine Vorbehalte teile ich durchaus, ich finde einfach, du wirfst mit dieser Etüde zu viel in einen Topf … 😉
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Sowas wie Einfühlung in die Natur und ihre Rhythmen … . Sich selber als Teil dieser Natur wahrnehmen.
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Weil der Mensch schon immer nach Erklärungen und Lösungen sucht, ist doch sein ganzes Denken „pathologisch“ angelegt. Sonst hätten wir wohl nicht überlebt. Und reine Tötungsabsicht wollen wir doch wohl keinem unterstellen.
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Es geht mir um die Haltung der Menschen gegenüber der Natur: Nehmen sie sie vor allem als etwas von ihnen Getrenntes, potentiell Feindliches wahr, das man „kontrollieren“ oder gar bekämpfen muss (nach meinem Eindruck ist das derzeit in weiten Teilen der Wissenschaft so), oder sehen sie sich als Bestandteil der Natur und diese als sie nährend und erhaltend an?
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Ich denke, vor allem wollen wir von ihr lernen, denn sie ist der fantastische und unerreichte Baumeister, den man sich nur vorstellen kann.
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