
„Sei nicht so rebellisch, Kind. Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester, die ist sanft und lieb, so wie Mädchen sein sollten!“
Wie Bea diese Ermahnungen hasste. Sie war nun einmal anders als ihre Schwester.
Aber sie wusste auch, dass sie mit ihrer temperamentvollen Art tatsächlich schon mal den einen oder die andere vor den Kopf gestoßen hatte. Und so bemühte sie sich, den Ermahnungen ihrer Mutter Folge zu leisten und ihr „Feuer“ so gut es ging zu unterdrücken.
Zum Studium endlich gelang es ihr, aus der engen Kleinstadt zu entkommen.
In der Großstadt stellte sie schnell fest, dass der Erzählstoff, der ihrer Mutter so heilig gewesen war, in der aufgeschlossenen weiten Welt längst vergilbt war. In den Kreisen, in denen sie sich jetzt bewegte, waren Männer und Frauen gleichberechtigt und niemand ermahnte sie, sanft zu sein.
Sie stürzte sich ins vibrierende Großstadtleben. Lernte jede Menge Männer kennen. Männer, die ihre temperamentvolle Art liebten.
Und einen davon liebte sie zurück. Sie war glücklich.
Der gemeinsame Sohn machte das Glück komplett.
Endlich gleichberechtigt! Was für eine Befreiung.
Das Auto war kaputt?
Sie lernte, es zu reparieren. Selbst ist die Frau!
Die Wohnung musste neu gestrichen werden?
Sie stand ihren Mann.
Und jetzt gerade stand sie vor dem großen Sessel, der für die Malerarbeiten zur Seite getragen werden musste. „Soll ich das nicht lieber machen, Schatz?“ Die Frage ihres Mannes empörte sie geradezu. Als ob sie das nicht selber schaffen würde! „Nein, danke!“ antwortete sie barsch.
… Und ihr Mann verließ leise das Zimmer.
Ein Beitrag zu den abc-Etüden, deren aktuelle Einladung hier https://365tageasatzaday.wordpress.com/2022/04/03/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-14-15-22-wortspende-von-katha-kritzelt/ zu finden ist.
Das hat etwas. Doch ich wollte eher wie die andere Schwester sein. Nun, Schwestern sind meistens verschieden, gehen oft ganz verschiedene Lebenswege. Aber daß sie Schwestern sind, das hat auch etwas.
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Ja, irgendwie ist es doch auch schön, wenn Geschwister verschieden sind. Jede*r kann etwas anderes: Wichtig scheint mir aber, dass sich jede*r auch in seinen individuellen Stärken gesehen fühlen kann von den Eltern. In der Konstellation, wie ich sie in meiner Geschichte beschreibe, wird sich die „rebellische“ Schwester aber aus meiner Sicht wegen ihrer von ihrer Mutter ungeliebteren Art gegenüber ihrer Schwester vermutlich abgewertet gefühlt haben.
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Ja, für diese Geschichte trifft das zu.
Ich dachte eher an eine andere Geschichte von zwei genau so unterschiedlichen Schwestern, nebst Bruder, die alle von der Mutter gleich geliebt, aber doch unterschiedlich – entsprechend ihrer Begabungen und Veranlagungen – unterstützt und gefördert wurden. Das ist natürlich eine ideale Voraussetzung für die Heranwachsenden.
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Ja, das ist natürlich die Idealvorstellung! In der Praxis trifft diese aber nach meiner Erfahrung nur äußerst selten tatsächlich zu. Da man als Eltern (und selbst als sonstiger Erzieher) in aller Regel nur die Begabungen und Talente wirklich zu sehen vermag, die einem selbst als wichtig und wertvoll erscheinen. Was einem wichtig und wertvoll erscheint, bestimmen dabei oft die eigenen Talente oder die, die man vielleicht selbst gerne gehabt hätte. Kinder, die in dieser Hinsicht „aus der Art schlagen“, weil ihre Talente ganz woanders liegen – und die wohlmöglich zudem auch noch irgendetwas mitbringen, was man gar nicht schätzt (z.B. das „rebellische“) -, die haben es oft sehr schwer.
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Ja, ich hatte eigentlich eher eine Idealvorstellung im Sinne, wobei ich vielleicht die Idealvorstellungen der Eltern ein wenig übersah. Diese werden dann von den Kindern mehr oder weniger als Faktum übernommen, solange, bis sie merken, daß sie selbst gar nicht wirklich wissen, wer sie sind und was sie wollen.
Ja, und das ist der Punkt des Erwachens…
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Ging meine lange Antwort darauf gerade verloren? Ich sehe sie hier nicht. Man könnte natürlich noch viel zum “ Erwachen“ sagen.
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Bei mir ist nur das angekommen, was ich gerade „frei geschaltet“ habe. Auch im „Spam“ ist nichts gelandet. Er „hängt“ also wohl noch in den Weiten des Netzes fest … .😉. Und wir bestimmt irgendwann später noch ankommen. Wirklich verloren geht ja selten etwas.
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Schade. Ich muß es nicht ungenau eingegeben haben. Bei mir finde ich es vorerst auch nirgends.
Naja, ganz verlorengegangen sein wird es wohl nicht. Selbst unsere geheimsten Gedanken gehen ja nicht wirklich verloren, viel weniger unsere Worte.
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Das ist die selbstschädigende Seite der Gleichberechtigung. Da ist „all equal all different“ noch nicht durchgedrungen und eine Rollenumkehr, bei der die Frauen dann letztlich alles machen, ist ja nicht der Sinn der Sache.
Ich bin aber – was die westliche Welt betrifft – optimistisch. Es gibt viele junge Paare und Familien, bei denen Arbeitsteilung gut funktioniert und wo die Männer ihre Vaterrolle annehmen.
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Ja, den Eindruck habe ich auch, dass das bei vielen jungen Paaren und Familien heutzutage mit der Arbeitsteilung sehr viel besser funktioniert, als es die „Vorreiterinnen“ des Feminismus erlebten. Denn damals herrschten noch ganz andere Strukturen und Denkmodelle, die von ihnen dann erstmal aufgebrochen werden mussten.
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Auf der einen Seite: Prima. Warum sollten Frauen diesen ganzen typischen Männerkram nicht lernen/können?
Auf der anderen Seite: Böse Falle, wenn sie nämlich nicht dafür gesorgt hat, dass ihr Mann im Haushalt/in der Beziehung auch etwas tut. Beziehungen sind ein gleichberechtigtes Geben und Nehmen, zumindest sollten sie es sein, und ich vermute, dass sie Gefahr läuft, auf immer die aktive Rolle zu besetzen – und sich irgendwann fragen wird, warum alles immer an ihr hängen bleibt, oder, noch gefährlicher, dem Mann Vorwürfe machen wird, warum er nie etwas tut.
Balance ist eine schwierige Sache, wenn man den Eindruck hat, dass man sonst nicht gesehen wird. 🤔
Danke für die Etüde! 😀👍
Nachdenkliche Nachmittagskaffeegrüße bei Aprilwetter 😀🌦️🌼☕🍪👍
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Ja, Vorwürfe wären natürlich richtig blöd. Aber auch sonst kann es in einer solchen Konstellation vielleicht passieren, dass er sich irgendwie „unnötig“ in ihrem Leben fühlen wird.
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Der von dir beschriebene rebellische Typus orientierte sich, meine ich, an einem Frauenbild, das aus einer Notlage heraus entstand: Im Krieg und danach mussten Frauen tatsächlich alles selbst machen, da die Männer nicht da waren (vaterlose Geselllschaft). Sie waren Väter und Mütter, Mann und Frau zugleich. Dieser Typus wurde zu so etwas wie einer Leitfigur für viele, die danach geboren wurden. Der sanfte Mädchen-Mutter-Typ hatte da eher das Nachsehen, denke ich mal.
Heute wird der „rebellische“ Typus andere Vorbilder haben. Er könnte sich zB gerade gegen die „Gleichmacherei“ wenden und Frauen hervorbringen, die das „typisch Weibliche“ erneut oder überhaupt zum ersten Mal zur Wirkung bringen wollen. Mir scheint, den hast du in anderen Etüden schon beschrieben.
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Ich bin mir gar nicht so sicher, ob der „sanfte Mädchen-Mutter-Typ“ nicht doch noch stärker nachwirkt. Noch heute erscheint es mir so, als würden „Temperamentsausbrüche“ von Männern gesellschaftlich sehr viel stärker toleriert, als von Frauen. Und als wären da ausgerechnet Frauen oft sogar besonders kritisch gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen. Gilt der Mann, der laut wird, immer noch vielen als „durchsetzungsstark“, gilt die Frau in ähnlichen Situationen immer noch oft als „schrill“, „hysterisch“ oder „zickig“. Gerade im Kolleginnenkreis sind „sanfte“ Frauen in der Regel deutlich beliebter, – werden gleichzeitig allerdings oft auch weniger ernst genommen, von Frauen und von Männern … .
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Nun, schrill und zickig werden wir Frauen ja gelegentlich, wenn wir mit unserer Meinung nicht gehört werden. Natürlich ist das nicht angenehm, weder in der Familie noch im Kollegenkreis. Männer werden selten schrill und zickig, eher grob herabsetzend und verächtlich. Sie erheben einfach ihre Stimme, die aber zu ihrem Glück nicht in den Diskant geht. .
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Ja, männliche Stimmen werden von uns als „angenehmer“ empfunden. Vielleicht, weil wir männliche Stimmen einfach mehr gewohnt sind …?
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Danke für diese Zeilen, in denen ich mich auch selbst sehe. Ich bin nicht mit mahnenden Worten aufgewachsen, sondern mit einer Mutter, die auch alles selbst machte (machen musste). Für mich war es schon als Kind sonnenklar, dass ich alles kann, was ein Mann kann. Heute fällt es mir schwer Hilfe anzunehmen, überhaupt danach zu fragen. Lieber finde ich andere Wege.
Liebe Grüße an dich Maren. 🙂
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Die Gewissheit, alles, was irgendwie getan werden muss, auch als Frau alleine hinzubekommen, sollte man auch nicht geringschätzen, denke ich. Über eine solche Gewissheit zu verfügen, gibt Sicherheit als Frau. Oft aber machen wir uns eben auch viel mehr Mühe, als in der aktuellen Situation (also in der Situation mit Partner … 😉) vielleicht nötig wäre … .
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genau. aber ich habe gelernt abzuwarten und nicht alles zu tun. oft erledigen sich dann Dinge von selbst 😉
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Gute short story 😉
Ich denke, der ‚rebellische‘ Typ Frau muss sich heute weniger gegen die alten Vorurteile wehren. Am kleinbürgerlichen Denken halten manche noch fest, weil es bequemer ist. Aber allein schon m/w/d in Stellenausschreibungen sagt mir, daß die Mehrheit akzeptieren muss, daß Standardisieren bei Menschen unmöglich ist.
Bei Männerstimmen überwiegen die tiefen Töne, die unser Gehör besser und stärker wahrnimmt als hohe – sagte mir ein Hörgerätetechniker 😉
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Genau! Standardisieren bei Menschen ist unmöglich! Diese Aussage finde ich wichtig. Danke dir.
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