
Zuverlässiger als jeder Wetterbericht konnte sie mit ihren feinen, weit nach Außen gerichteten, Antennen Gewitter bereits erspüren, wenn anderen der Himmel noch blau erschien. Gewitter zwischen Menschen.
Immer schon wollte sie Harmonie überall. Wenn sie spürte, dass jemand litt, litt sie mit.
In ihrem Herzen hatte fast jeder Platz.
Nur sie selbst irgendwie nicht.
Permanent war sie auf das Wohlbefinden anderer ausgerichtet. Fragte sich, ob sie genug tat für das Gute in der Welt.
Sie verströmte Liebe, die nach ihren Vorstellungen in den irisierenden Farben eines Regenbogens von ihr ausging und weit in die Welt hineinwirkte. Sie stellte sich vor, wie diese Liebe anderen Menschen Heilung schenken und so das Gute in der Welt potenzieren würde.
Irgendwann stellte sie fest, dass diese anderen ihre Bemühungen nicht einmal bemerkt zu haben schienen.
Sie war müde und erschöpft und sehnte sich danach, geliebt zu WERDEN.
Inzwischen wusste sie, dass andere andere Kindheiten gehabt haben mussten, als sie.
Sie erfuhr von „schönen“, „ganz ordentlichen“, „nicht ganz so tollen“, „ganz und gar nicht tollen“ und „katastrophalen“ Kindheiten. Und sie erfuhr auch, dass die mit „schönen“ oder „ganz ordentlichen“ sich oft nicht einmal im entferntesten vorstellen konnten, was eine der drei anderen Kindheiten mit einem Menschen machen können.
Man erklärte ihr, dass Bedürftigkeit ein Makel sei. Etwas, was einem peinlich zu sein hatte.
Da habe jemand einfach nicht genug an sich gearbeitet. Schließlich gebe es doch jede Menge Techniken.
Eine schwierige Kindheit?
Na und?
Dann müsse sie halt jetzt als Erwachsene ihr inneres Kind umarmen und ihm all die Liebe geben, die es als Kind vermisst hat.
Jetzt habe sie schließlich die Ressourcen.
Nein, sie hatte die Ressourcen nicht!
Woher sollten sie denn gekommen sein?! Aus ihrer Kindheit???
Wie könnte sie Ressourcen aufbauen?
Indem sie endlich egoistisch würde?!
Soll das wirklich die Lösung sein?
Ein Beitrag zu den abc-Etüden, deren aktuelle Schreibeinladung hier https://365tageasatzaday.wordpress.com/2022/05/15/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-20-21-22-wortspende-von-puzzleblume/ zu finden ist.