
Sie blätterte in dem soeben gekauften Rezeptbuch und stieß auf den „Königskuchen“. Kannte sie gar nicht. Aber schon der Name gefiel ihr. Den würde sie backen. Noch heute. Für ihren Schatz. Für ihren Mann. Denn ihr Mann war ihr „König“.
Während sie die Zutaten zusammensuchte, akribisch abwog und liebevoll mit ihren Händen zu einem Teig verknetete, stellte sie sich die ganze Zeit vor, wie ihr Mann sich freuen würde. Wie er strahlen würde, wenn er zur Tür hereinkäme – und völlig außerhalb des für einen „normalen“ Wochentag Gewohnten -, den Duft frisch gebackenen Kuchens erschnuppern würde… . Wie er mit einem begeisterten „Hmmm, riecht das lecker!“ sogleich zu ihr in die Küche eilen würde. Wie geschmeichelt er sich fühlen würde, wenn sie ihm dann erzählte, dass sie extra für ihn einen „Königskuchen“ gebacken hatte.
Voll Vorfreude auf seine Freude schob sie den Kuchen in den Ofen. Sie hatte alles exakt so abgestimmt, dass der Kuchen gerade ofenfrisch fertig sein würde, wenn ihr Mann kam. Denn ofenfrisch aß er Kuchen am liebsten.
Sie hörte, wie sich sein Schlüssel in der Haustür drehte, und ihr Herz klopfte vor freudiger Erwartung, als sie den perfekt gelungenen Kuchen aus dem Ofen nahm.
Er hätte ihr sagen können, dass er gerade ein unangenehmes Gespräch mit einem Kunden hinter sich hatte. Dass er Kuchen zwar normalerweise zu jeder Tageszeit gerne aß, aber just in diesem Moment ausnahmsweise keinen Appetit darauf hatte, irgendwas zu essen, weil ihm dieses Gespräch auf den Magen geschlagen hatte.
Aber er sah sie nicht.
Er sah ihre Mühe, ihre Liebe und Wertschätzung nicht, die sie ihm mit diesem Kuchen zeigte.
Er blaffte sie an, dass er keinen Hunger habe und sie ihren Kuchen alleine essen könne.
Er fand sie „okay“. Aber eigentlich träumte er von einer Frau, die ihm Geborgenheit schenken würde. Liebe und Wertschätzung.
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