Fein eingerichtet?

„Selbstverständlich bringe ich dich bis zum Kreißsaal, Schatz. Aber bei der Geburt lasse ich dich doch lieber alleine. Das ist nun einmal Frauensache. Die Natur hat es so eingerichtet. Ich würde da sicher nur stören. Man hört ja so manche Geschichten über Männer, denen es im Kreißsaal ganz blümerant geworden sei, die gar das Bewusstsein verloren hätten … . Und außerdem, Milliarden Frauen haben es schon vor dir geschafft, so schwierig kann es also nicht sein.“

Er ging.

Die modernen Kommunikationsmittel sorgten dafür, dass er sofort erfahren würde, wenn das Baby da war. Das war fein. So musste er nicht wohlmöglich Stunden vor dem Kreißsaal sitzen und warten.

Sie verlor das Bewusstsein nicht – während sie stundenlang im Kreißsaal lag mit immer schmerzhafteren Wehen. Sie wusste nicht einmal, ob jemand ihre Schmerzensschreie hörte, denn die meiste Zeit war sie mutterseelenallein. Die einzige Hebamme musste mehrere Säle gleichzeitig betreuen. Warum war das nochmal so? Irgendwas mit Versicherungen, erinnerte sie dunkel. Schon eigenartig, wo die Menschen so ihre Prioritäten setzen.

Sie verlor das Bewusstsein auch nicht, als der Kopf des Babys endlich aus ihrem Körper ragte. Als der Damm riss und später mit schmerzhaften Stichen genäht wurde.

Sie verlor das Bewusstsein nicht, aber ihr Körper fühlte sich zerfetzt an. Zerfetzt von dem Baby. Es schmerzte irrsinnig.

Als man ihr das Baby in den Arm legte, hatte sie nicht das Gefühl, ein Wesen, das ihr solche Schmerzen bereitet hatte, wirklich lieben zu können.

Als ihr Mann dann mit einem großen Blumenstrauß antanzte, hatte sie nicht das Gefühl, ihn körperlich jemals wieder so lieben zu können, wie vor dieser Geburt.

Stolz blickte er auf das Baby: „Die Nase hat er eindeutig von mir! So eine Geburt ist doch wirklich ein Wunder. MEIN Sohn! Eine Art Wiedergeburt meiner Selbst.
Mit der Chance, jetzt alles besser zu machen… .“


Ein Beitrag zu den abc-Etüden.