
„Legitim“ heißt gesetzlich anerkannt, rechtmäßig. Was aber, wenn das Recht sich verändert? Wenn Gesetze plötzlich anders ausgelegt werden – und alle entscheidenden Akteure sich bei dieser anderen Auslegung einig sind?
Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns – als ein entscheidendes Merkmal unseres Rechtsstaats – habe ich schon in meinem Beitrag Verhältnismäßigkeitsgrundsatz medizinisch und juristisch gesehen Einiges gesagt und will das hier nicht alles wiederholen. Wichtig ist aber, dass bis vor Kurzem Einigkeit bestand, dass staatliche Eingriffe durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) diesem Grundsatz genügen müssen.
Das bedeutet hinsichtlich des Infektionsschutzes: Der Staat müsste bei jeder einzelnen der ergriffenen „Corona-Maßnahmen“ nachweisen, dass diese geeignet ist, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Dass es kein milderes Mittel gibt, um diese Ziele zu erreichen, und dass der Nutzen der Maßnahme den durch die Maßnahme angerichteten Schaden deutlich überwiegt (je stärker der Grundrechtseingriff, desto höher die Anforderungen an diesen Nachweis). Die angestrebten Ziele sind dabei klar zu definieren („allgemeiner Gesundheitsschutz“ genügt den Anforderungen nicht; „Verhinderung einer Überlastung der Intensivstationen“ hingegen schon).
Es ist offensichtlich, dass ein solcher Nachweis bei so gut wie keiner der erfolgten staatlichen Corona-Maßnahmen gelungen wäre. Schon das Ziel dieser Maßnahmen wird nicht wirklich deutlich. (Mir drängt sich der Eindruck auf, Ziel des Ganzen ist es, eine Impfung an Mann, Frau und Kind zu bringen, was so kein „legitimes“ Ziel ist, und deshalb auch nie ausdrücklich als Ziel benannt wird …).
Nicht einmal der Nachweis einer Geeignetheit der Maßnahmen zum Schutz vor Erkrankung an Covid 19 ist vorhanden. Denn Belege dafür fehlen. Und bezüglich der Angemessenheit gibt es stattdessen eine hohe Evidenz, dass der Schaden der Maßnahmen größer ist als der Nutzen.
Der Gesetzgeber hat folgerichtig auf den Versuch eines Nachweises der Verhältnismäßigkeit der einzelnen Maßnahmen in der Gesetzesbegründung gleich verzichtet und stattdessen lediglich pauschal die Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen behauptet.
Das reicht natürlich nicht – und würde normalerweise dazu führen, dass jede aufgrund eines solchen Gesetzes durchgeführte Maßnahme von Gerichten aufgehoben, und das Gesetz selbst vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wird. In Österreich scheint das auch regelmäßig geschehen zu sein, dass der Verfassungsgerichtshof Rechtsverordnungen wegen nicht erfolgter Begründung der Verhältnismäßigkeit aufgehoben hat. Was dort aber offenbar nur dazu geführt hat, dass die Regierung gleich (oder ähnlich) lautende neue Verordnungen erlassen hat… .
In Deutschland wollte man sich diese Peinlichkeit anscheinend ersparen – und hat stattdessen etwas getan, was ich als fatal empfinde. Da es unser gesamtes Grundgesetz aus den Angeln hebt.
Es ist etwas, dessen Reichweite den wenigsten Menschen WIRKLICH klar geworden zu sein scheint:
Man hat behauptet, dass es legitim, ja sogar geboten sei, Menschen, die man als „Gefährder“ definiert, ihre Grundrechte erheblich einzuschränken. Zuvor hatte man alle Menschen in Deutschland pauschal zu „Gefährdern“ erklärt. Und man hat klar gemacht, dass man nur denen ihre Grundrechte (teilweise) wiederzugeben gedenkt, die eine – nicht demokratisch legitimierte – Organisation (das RKI) relativ willkürlich für nicht mehr – oder zumindest weniger – „gefährlich“ erklärt. Musste bisher, wie gesagt, der Staat nachweisen, dass ein Grundrechtseingriff geeignet, erforderlich und angemessen ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen, wurde dieser Nachweis nun durch die Behauptung ersetzt, dass Menschen gefährlich seien, und man sie voreinander schützen müsse.
Gleichzeitig wurde von der o.g. Organisation behauptet, dass man diese Gefährlichkeit nur durch eine Impfung mit einem experimentellen auf Gentechnik beruhendem Impfstoff reduzieren könne. Erst diese nicht erprobte Impfung also dazu berechtige, (einen Teil) seine(r) Grundrechte wieder wahrnehmen zu dürfen.
Was diese Art der Auslegung des Grundgesetzes bedeutet, wird vielleicht an folgenden Beispielen deutlich:
- Studien haben gezeigt, dass bei stark übergewichtigen Menschen die Impfungen nur eine geringe Wirkung zeigen, diese Gruppe aber gleichzeitig besonders gefährdet ist, an Covid-19 schwer zu erkranken (und dadurch vielleicht auch besonders „infektiös“ ist). Was, wenn das RKI nun sagt, es handele sich aufgrund dessen um „besondere Gefährder“, deren Gefährdungspotential nicht mal durch die Impfung reduziert werde. Deren Grundrechte man folglich so lange einschränken dürfe / müsse, bis sie so und so viel an Gewicht verloren haben?
- Oder mit einem anderen Thema: Ein „Expertengremium“ sagt, Studien hätten ergeben, dass Männer im Alter zwischen 13 und 40 Jahren, die selbst (oder deren Vorfahren) aus Ländern x,y,z kommen, statistisch signifikant häufiger Straftaten verüben, als der Rest der Bevölkerung.
Es dürfte für eine Regierung mit einem entsprechenden Interesse nicht schwer sein, solche Studien und Statistiken erstellen zu lassen. Also erklärt man die entsprechende Gruppe pauschal zu „Gefährdern“, erlässt Versammlungsverbote für sie und nächtliche Ausgangssperren.
Wenn vorher über irgendwelche Gewalttaten aus dieser Gruppe immer wieder in den Medien eindrucksvoll – und mit entsprechenden Bildern und Berichten von Opfern unterlegt – berichtet wurde, wird eine Mehrheit der Bevölkerung sich durch diese Maßnahmen sicherer fühlen. Und nicht protestieren.
„Die aus Ländern x,y,z kommen“ ließe sich auch ersetzen mit Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensrichtung, oder was auch immer! (Sie würden nach der neuartigen Auslegung des GG ja nicht wegen ihrer Religion, Herkunft o.ä. diskriminiert, sondern weil es einen sachlichen Grund für ihre Ungleichbehandlung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen gebe, sie seien nämlich „Gefährder“.)
Was ich damit sagen will: Man kann mit einer Auslegung des GG, wie sie jetzt salonfähig geworden ist, JEDE Gruppe pauschal zu „Gefährdern“ (oder Unerwünschten) erklären und ihre Grundrechte einschränken, wenn man damit irgendein politisches Ziel verfolgt.
Man kann die Einschätzung, dass es sich um „Gefährder“ handele gar noch auslagern, auf irgendein nicht gewähltes und nicht abwählbares „Expertengremium“, dem man nun einmal habe „folgen müssen“. (Während man Einschätzungen von Experten, die diesem Gremium nicht angehören, beharrlich ignoriert oder für Unsinn erklärt!)
Wenn man gleichzeitig, wie mit dem Infektionsschutzgesetz geschehen, den Individualrechtschutz – entgegen Art. 19. Abs. 4 GG – verkürzt, gibt es für die Betroffenen im Grunde keine Möglichkeit mehr, sich zu wehren. Zumindest nicht, wenn man das Bundesverfassungsgericht vorher so besetzt hat, dass es die Grundrechtsverstöße weitgehend mittragen wird.
Leider erscheint es mir bei der jetzigen Besetzung des BVerfG tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass es diesen Tabubruch mittragen – und nur kleinere Aspekte (wie die nächtliche Ausgangssperre) für verfassungswidrig erklären wird. Bisher scheint mir jedenfalls alles darauf hinzudeuten, dass das BVerfG seiner hohen Verantwortung, die es gerade in dieser Situation trägt, wohl nicht gerecht werden wird.
Wenn aber alle Verfassungsorgane mitmachen bei dieser neuartigen Auslegung, inklusive des Bundesverfassungsgerichts, ist der Rechtsstaat damit zu einer reinen Fassade geworden. Von Außen betrachtet scheint er noch da zu sein. Innen ist er hohl.
Noch scheint eine Mehrheit in diesem Land trotzdem überzeugt, dass alles mit „rechten Dingen“ zu geht. Eine Mehrheit(?) scheint die Maßnahmen, die Gesetze und Verordnungen, die „Wegnahme“ der Grundrechte und „Wiedergabe“ nur an die, die nach Definition eines nicht demokratisch gewählten Instituts, nämlich des RKI, keine „Gefährder“ seien, für legitim zu halten.
In einer Demokratie zählen Mehrheiten. Und wenn die Mehrheit damit einverstanden ist, dass der Rechtsstaat sich von innen aushöhlt, dann ist das vielleicht sogar noch demokratisch.
Ob die Mehrheit vielleicht nur deshalb einverstanden ist, weil sie erheblicher Propaganda ausgesetzt wurde und wird, ist eine andere Frage. Ob ihr die möglichen Konsequenzen dieses Tabubruchs wirklich klar sind, auch.
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob unseren Verfassungsorganen diese Konsequenzen in aller Deutlichkeit bewusst sind. Ob ihnen bewusst ist, dass sie mit ihrem Versuch, die Menschen über (angeblich alternativlose) Grundrechtseinschränkungen irgendwie zur Impfung (und zu einem digitalen Impfpass) zu „zwingen“, rechtlich gesehen eine Büchse der Pandora geöffnet haben.