
Wer gibt schon zu, „in Schubladen zu denken“? Niemand. Klingt irgendwie doof. So irrational. Aber unsere Gehirne tun genau das. Deshalb wirken sogenannte Frames so gut. Unsere Gehirne sind im Grundsatz „faul“. Sie hinterfragen normalerweise nicht, sondern sortieren zu. Gegen einen einmal von jemandem als Wahrheit akzeptierten Frame braucht man daher als andersdenkende Person nicht wirklich zu argumentieren zu versuchen. Man rennt gegen eine Mauer. (Fast jede*r versucht es trotzdem immer wieder, denn ansonsten müssten wir auf die Gefühle der Andersdenkenden eingehen, und das sind wir nicht gewohnt… .)
Diese prinzipiell ja ökonomische Vorgehensweise unseres Gehirns wäre vielleicht auch gar nicht so schlimm. Wenn wir nicht dazu tendieren würden, die Menschen, die wir in „die andere“ Schublade gestopft haben, gleichzeitig zum Feindbild zu erklären.
Solche Gedanken kommen mir dieser Tage sehr oft.
Für viele von uns ist Donald Trump das Feindbild und der „Spalter“ in Person. Ich habe auch immer dazu geneigt, alles, was mir an der amerikanischen Politik nicht gefiel, ihm persönlich in die Schuhe zu schieben. Während ich bei Obama für alles, was mir nicht gefiel, die Umstände und die schwierigen Mehrheitsverhältnisse verantwortlich gemacht habe. Obama wirkt eben als Mensch auf mich einfach deutlich sympathischer…. Allerdings bin mir ziemlich sicher, dass die Demokraten die Grundidee des „America first“, gar nicht so viel anders sehen, als Trump. Staatenlenker, die die echten oder vermeintlichen Interessen ihres Landes nicht an erster Stelle sehen, haben es in unserer derzeitigen Welt immer noch schwer. Denn diese Welt ist leider eine egoistische. Diese Welt lebt nach den Konzepten des „ich zuerst“ und „der Stärkere hat recht“. Für mich die Ursachen vieler, wenn nicht aller, unserer Probleme auf dieser Erde.
Der oder die Stärkeren, das sind natürlich auch die, für die es leichter ist, Frames zu setzen – und damit eine Mehrheit dazu zu bringen, der gewünschten Meinung zu folgen. Trump hat das sogar über Twitter „perfektioniert“. WARUM man letztlich einer bestimmten Ansicht folgt, hat m.E. aber immer tiefer liegende Gründe. Das hat etwas mit der eigenen Weltsicht zu tun. Mit Glaubenssätzen, Kindheitserfahrungen, der Anfälligkeit für bestimmte Ängste. Nur mit (rationalen) Argumenten, Studienergebnissen usw. hat es meist sehr wenig zu tun.
Bei Corona ist das gut sichtbar. Es gibt Studienergebnisse in die unterschiedlichsten Richtungen. Die Vorstellungen über die beste Vorgehensweise gehen auch bei Experten weit auseinander. Die Evidenz, dass Alltagsmasken tatsächlich den Schutz bieten, den sich die meisten Menschen davon zu versprechen scheinen, ist dünn bis nicht vorhanden. Mit Ausnahme von „Abstand“ und „Isolierung symptomatischer Personen“ weiß eigentlich niemand so richtig, was Schutz bietet und sinnvoll ist, und was nicht. Es gibt Vermutungen, Prognosen (und auch Studien), die je nach Weltsicht so oder so ausfallen.
Ich habe (vielleicht auch aufgrund der Kommentare zu meinem letzten Beitrag) durchaus Verständnis dafür, dass die Politik dazu neigt, im Zweifelsfall lieber zu viel als zu wenig zu tun und zu hoffen, das Ganze irgendwie in den Griff zu bekommen. Auch, wenn ich persönlich genau das für eine Illusion halte. Und natürlich habe ich viel Verständnis dafür, dass viele Menschen HOFFEN, dass die Maßnahmen schützen – und alleine wegen dieser Hoffnung geneigt sind, daran zu glauben.
Was MIR Angst macht, ist jedoch, dass die jeweils andere Seite zum Feindbild geworden ist.
Ich mag diese Verschwörungsidee nicht, nach der irgendeine „Weltelite“ das alles geplant habe. Ich kann verstehen, dass Menschen auf diese Idee kommen, weil sich vieles an dieser Pandemie so merkwürdig anzufühlen scheint. Sie suchen für sich nach einer Erklärung für bestimmte Handlungsweisen der Regierungen und der Medien, fragen sich dann, „wem nützt das Ganze“ und landen bei Bill Gates. Damit werden Bill Gates und andere zum Feindbild dieser Gruppen und das halte ich für gefährlich.
Genauso wenig mag ich das so verbreitete Narrativ, wonach „Maskenverweigerer“ und andere Kritiker der Corona-Maßnahmen „schuld sind“, dass sich weiterhin Menschen an dem Virus anstecken. Obwohl nicht erwiesen ist, dass Alltagsmasken einen wirklichen Schutz bieten (und so, wie sie meist gehandhabt werden, sogar eher das Gegenteil der Fall sein dürfte), sind Menschen ohne Maske längst zum Feindbild Nummer 1 geworden. Und das wird immer weiter geschürt mit Worten wie „verantwortungslos“, „unbelehrbar“ o.ä., wenn jemand wagt, den Nutzen von bestimmten Maßnahmen zu hinterfragen. So setzt man Frames, denen dann leider eben auch nicht mehr mit Argumenten begegnet werden kann.
Von Beginn an haben die Medien selten bis nie gefragt: „Nutzen die Maßnahmen oder schaden sie?“ Sondern „Werden sie eingehalten?“ Ständig wurde und wird suggeriert, dass, wer sie nicht einhält, damit allen schade, egal, um welche Maßnahme es gerade ging.
Wer aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen darf, wird nicht nur gezwungen, überall ein Attest mit genauer Diagnose vorzuzeigen (normalerweise sollte die ärztliche Diagnose niemanden etwas angehen), sondern meist selbst trotz Attest angefeindet. Die anderen hören gar nicht zu, oder halten das Attest für „erschummelt“. Es kommt zu widerlichen Szenen, viele Betroffene trauen sich kaum noch in Geschäfte oder öffentliche Verkehrsmittel, nicht einmal zum Arzt.
Die Heftigkeit des Ganzen erinnert mich an Religionskriege. Nur, dass die Gewalt heute glücklicherweise meist eher verbaler Art ist.
Die Reaktionen wären nicht so heftig, wenn dahinter nicht starke Gefühle und Emotionen stünden: Angst. Die Angst vor dem eigenen Tod oder schwerer eigener Erkrankung, bzw. vor Tod oder Erkrankung geliebter Menschen.
Diese Angst wurde und wird politisch und medial mit Worten und Bildern extrem getriggert. Das wiederum ruft bei vielen von denen, die die Maßnahmen kritisch sehen, ein ungutes Gefühl hervor. Das Gefühl von „Da muss doch etwas dahinter stehen, wenn die das so befördern mit der Angst. Das macht man doch nicht als verantwortliche*r Politiker*in, wenn man damit nicht irgendetwas (Ungutes) bezwecken würde.“ Die Bill Gates – Theorie … .
Der von Medien und Politik gesetzte Frame, wonach Kritiker „egoistisch“ und „unsolidarisch“ seien, erhöht das Vertrauen von Kritiker*innen der Maßnahmen in Politik und Medien nicht gerade.
Menschen, die durch die Maßnahmen unmittelbar ihre wirtschaftliche Existenz bedroht sehen, wohlmöglich gar Gefahr laufen, in die Obdachlosigkeit zu rutschen, bewerten die Frage nach Egoismus und Solidarität möglicherweise ohnehin ganz anders. Und auch Ältere und Kranke, denen man in ihrer ohnehin nur noch begrenzten Lebensspanne viel von dem nimmt, wofür es sich für sie noch zu leben lohnte, hätten vielleicht lieber eine andere Art der Solidarität. Das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Mich stört diese selbstverständliche Annahme, dass es jeder älteren Person lieber sei, möglicherweise zu vereinsamen, als Coronaviren abzubekommen.
Tatsächlich geht es wohl auch weniger um das Wohlergehen der älteren Personen an sich, sondern darum, dass diese möglichst nicht die Intensivbetten „verstopfen“ sollen.
Gerade weil die Interessenlagen so vielfältig sind und das tatsächliche „Wissen“ so gering, hätte ich mir von Politik und Medien eine Kommunikation gewünscht, die sich jeder Schuldzuweisung enthält. Eine Kommunikation, die Fronten ab- und nicht aufgebaut hätte! Denn Fronten gibt es in dieser Welt ohnehin schon genug.
Ich glaube, dass die Politik sich und uns mit einer anderen Kommunikation zu diesem Virus und auch zu ihren Maßnahmen einen großen Gefallen getan hätte. Einer Kommunikation, die die Frage der Gefährlichkeit des Virus von Anfang an etwas sachlicher und weniger marktschreierisch beurteilt hätte. Bei Donald Trump haben sich viele von uns immer wieder eine sachlichere Kommunikation gewünscht. Bei diesem Virus hingegen fällt vielen das Marktschreierische und Spalterische an der offiziellen Kommunikation nicht einmal auf.
Es ist ein Virus, der sich – unabhängig von den ergriffenen Maßnahmen – bei kälteren Temperaturen offenbar gut verbreiten kann; bei dem nicht erwiesen ist, dass Masken vor der Ansteckung schützen; bei dem man nicht weiß, wer, warum zum „Superspreader“ wird, und wie sich eine Ansteckung jeweils wirklich auswirkt.
Wie kann man da Menschen beschuldigen, mit ihrem „unverantwortlichen Handeln“ andere zu gefährden?! Das ist eine Beschuldigung, die auf bloßen vagen Vermutungen beruht (und der Hoffnung, mit dem eigenen Handeln „richtig“ zu liegen). Sind es nicht genau solche Schuldzuweisungen, die „unverantwortlich“ sind?! Was will man damit bezwecken? Einen Sündenbock kreieren?! Wenn Politik und Medien Menschen zu Sündenböcken für die Verbreitung einer ansteckenden Erkrankung machen, dann weckt das in mir sehr ungute Gefühle.
Warum kann man als Politiker*in heutzutage nicht zugeben, dass man nicht weiß, ob man mit den Maßnahmen richtig liegt, und damit das erreichen wird, was man sich erhofft? Dass man zu wenig über das Virus weiß und dass es sich auch nicht wirklich „eliminieren“ lassen wird, auch nicht durch Impfungen? Weil die Menschen sich dann nicht „gut betreut“ fühlen? Für wie erwachsen oder nicht erwachsen hält man denn die Menschen bei uns??
Die Aussage „Es liegt an uns allen, ob sich Covid-19 noch eindämmen lässt.“ geht von sehr vereinfachten Denkweisen aus (bzw. von einem völligen Kontaktverbot über die gesamte kalte Jahreszeit).
Liegt es nicht stattdessen an uns allen, ob sich diese Fronten weiter verhärten?! Und wäre es nicht im Interesse aller, dass sie es nicht tun?!! Eine ehrlichere Kommunikation von Politik und Medien würde ich persönlich da als sehr hilfreich empfinden. Sie würde es auch den Verschwörungstheorien schwerer machen.
Kein (politisches) Handeln ist jemals „alternativlos“. Das dürfte aus meiner Sicht gerne deutlicher werden!