
Das für mich eindrücklichste Seminar, was ich in meinem Leben je besucht habe, war im Fach Sozialpsychologie. Es hatte nichts mit meinem eigentlichen Studium zu tun, aber das machte es für mich umso interessanter. Es ging um Kommunikation und Verhandlungen in Gruppen. Und vor allem um die innerhalb der Gruppen ablaufenden Prozesse.
Wir wurden nach dem Losverfahren in zwei Gruppen geteilt. Jede Gruppe bekam eine eigene „Regieanweisung“. Die enthielt die Ziele der Gruppe, ihre Möglichkeiten, Machtmittel, Verbündete etc. . Schnell stellte sich im Laufe des „Spiels“ Folgendes heraus:
1. Die Ziele der beiden Gruppen waren unvereinbar.
2. Die Möglichkeiten, Machtmittel, Verbündeten etc. waren sehr ungleich verteilt zwischen den Gruppen. Die, der ich zufällig angehörte, war die mächtige. Die andere im Grunde genommen chancenlos.
Was dann passierte, war interessant: Je mehr uns klar wurde, dass wir die Macht hatten – und die anderen nicht -, desto arroganter wurden wir. Es machte uns Spaß, die anderen spüren zu lassen, dass sie keine Chance hatten. In den Zwischenabsprachen der Gruppenmitglieder untereinander überlegten wir uns, wie wir das Maximale herausholen könnten. Den anderen weniger als nichts lassen, die Möglichkeiten dazu schienen wir ja zu haben. Die Mitglieder der „Gruppe chancenlos“ wurden rauer und aggressiver im Tonfall, aber das ließ uns nur umso mehr unsere Machtmittel ausspielen. Jetzt schien uns das noch gerechtfertigter, schließlich wirkte die andere Gruppe ja zusehends unangenehmer.
Wir „spielten“ einen ganzen Tag lang. Spannung und Wut im Raum waren zum Schluss mit Händen greifbar.
Das Ganze hätte uns vermutlich kaum Erkenntnisse gebracht (es schien ja eigentlich normal), wären wir nicht den gesamten Tag gefilmt worden von der Seminarleitung. Jede Verhandlungsrunde, jede Zwischenabsprache.
Die nächsten Seminartage verbrachten wir damit, uns diese Filme anzusehen und unser Verhalten zu analysieren:
Wir waren entsetzt. Ich muss dazu sagen: Jede*r Teilnehmer*in hatte bereits zuvor mindestens Basiskenntnisse in Theorien zu „guter“ Kommunikation. Und auf der Grundlage dieser Kenntnisse erschien es uns unverständlich, wie wir so sehr und so automatisch in diese Arroganz der Macht gerutscht waren. Dass wir in keiner Weise daran interessiert waren, „den anderen“ wenigstens ein Stück weit ihr Gesicht zu lassen. Ganz im Gegenteil. Wie wir die Wut „der anderen“, die letztlich deren einziges Ventil war, auch noch als Rechtfertigung für uns genutzt hatten, noch fieser aufzutreten. Warum wir so überhaupt nicht daran interessiert waren, Spannungen abzubauen – und den anderen Lösungen anzubieten-, mit denen sie wenigstens auch ein Stück weit hätten leben können.
Das hat mich tief beeindruckt. Tief beeindruckt hat mich auch der „Profi-Deeskalierer“, der uns später in diesem Seminar Einblick in seine Tätigkeit gab. Sein Job war es, bei Geiseldramen zu versuchen, auf die Geiselnehmer einzuwirken und sie zur Freilassung ihrer Geiseln zu bewegen. Er war einer der international bekanntesten seiner Zunft: Deeskalation, sagte er, bedeutet immer, die Anliegen des / der anderen (Schwächeren) anzuhören und ihnen die Möglichkeit der Gesichtswahrung zu geben.
An dieses lang zurück liegende Seminar musste ich gerade wieder denken, weil ich zum allseits beliebten Thema Conora so oft lese: „Ich habe ja versucht mit den anderen zu sprechen. Aber es ist sinnlos. DIE wollen einfach nicht verstehen.“ Und ich dann immer verzweifelt denke: „Aber ich versuche doch zu kommunizieren. Ich habe ganz viele Angebote auf meinem Blog gemacht.“ Die aber offensichtlich nicht als „Angebote“ empfunden wurden … .
Im Gedanken an mein damaliges Seminar nehme ich inzwischen an, diese gegenseitige Verständnislosigkeit liegt daran, dass beide Gruppen völlig verschiedenen „Regieanweisungen“ folgen. Regieanweisungen in der Frage, wie man bei komplexen Sachverhalten in Themen, bei denen man kein Fachmensch ist, zu seinem Urteil kommt. Also, was man glaubt und was nicht.
Wir leben in einer komplexen Welt und uns ist immer wieder beigebracht worden: „Achten Sie auf vertrauenswürdige Quellen.“ Und das ist das, was die Mehrheit tut. Sie hat sich entschieden, bestimmten Quellen zu vertrauen – und anderen nicht.
Ich hingegen bin vom Typ her ohnehin – und als Juristin nochmal deutlich verstärkt – darauf trainiert und konditioniert, auf Inhalt und Art einer Argumentation zu schauen. Wer sich als Jurist von einem „glanzvollen Namen blenden lässt“ und deshalb versäumt, nach der Substanz hinter einer Argumentation zu schauen, hat aus meiner Sicht den Beruf verfehlt.
Wenn mir also lauter Zahlen ohne jede Bezugsgröße präsentiert werden; mit Behauptungen operiert wird, für die man mir keinen Beleg nennt; jemand versucht, Emotionen zu schüren, ohne mit Argumenten zu kommen; dann ist das für mich eine sehr schwache und dünn geratene Argumentation, bei der ich sofort dazu neige, sie in der Luft zu zerreißen.
Wenn diese aus meiner Sicht schlechte Argumentationslinie dann ständig wiederholt wird, und zwar von allen möglichen Leuten, dann wird sie für mich damit keinen Deut besser. Aber ich bin irritiert, insbesondere, wenn ich diese Leute einer „intelligenteren“ Argumentation für fähig gehalten hätte.
Und, – vielleicht ist das auch besonders typisch für Juristen – ich beginne eine Strategie dahinter zu vermuten. Warum sonst sollten intelligente Leute so aus meiner Sicht merkwürdig agieren?
DANN beginne ich, mich in „alternativen“ Medien zu informieren. Und stelle fest, es gibt eine Menge Menschen, die die offizielle Argumentationslinie schwach und die angebotenen „Lösungen“ falsch finden. Darunter auch etliche Fachleute, die den eigentlichen Sachverhalt weit besser beurteilen können als ich. Und deren Argumentation für mich irgendwie deutlich konsistenter und auch gehaltvoller rüber kommt, als die „offizielle“ Linie.
Und wenn ich dann sehe, dass diese Fachleute nicht nur totgeschwiegen, sondern ihre Videos gelöscht und sie selbst diskreditiert werden, dann leuchten bei mir alle Warnlampen. Und meine Vermutung einer Strategie wird zu einer Art Gewissheit für mich.
Wenn ich hingegen zu der anderen Gruppe gehören würde, würden mir argumentative Schwächen meiner Quelle gar nicht auffallen. Und was mir auffiele, würde ich irgendwie entschuldigen. Weil ich der betreffenden Quelle vertraue. Das ist nicht naiv, sondern völlig normal. Wenn dann ganz viele dasselbe sagen, wäre das natürlich erst recht ein Beleg für die Richtigkeit meiner Quelle. Mein Glauben an die Richtigkeit würde zu einer Art Gewissheit.
Und wenn dann jemand um die Ecke käme – und sagt: „Die sagen alle dasselbe, da steckt eine Strategie dahinter. Da muss man genauer hinschauen!“, würde ich diesen jemand folgerichtig für einen „Verschwörungstheoretiker“ halten… . Schließlich sieht er ausgerechnet das, was für mich Beweis meines Richtigliegens ist, als Beleg, dass hier etwas nicht stimme. Klar fände ich das absurd.
Zwischen der Wahrnehmung der beiden Gruppen gibt es keine wirkliche Schnittmenge. Und damit auch keine Kommunikationsbasis.
Schlimmer noch, aus meiner kritischen Sicht heraus scheint es eine „Gruppe Macht“ zu geben, die die gesamte Medienmacht hat, während die andere sich mit Löschungen ihrer Botschaften konfrontiert sieht, und zur „Gruppe chancenlos“ wird. Ich fühle mich letzterer Gruppe zugeordnet. Werde folgerichtig immer verzweifelter und sage immer lauter: „Ihr müsst doch SEHEN, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.“ Und „Gruppe Macht“ schaut mich an und sagt: „Ja, das sehen wir. Mit DIR stimmt etwas nicht …“.
Und vielleicht ist das auch so. Vielleicht bilde ich mir Manches nur ein. Aber ich würde mich deutlich wohler fühlen, wenn es statt dieser professionellen Eskalierer, professionelle Deeskalierer gäbe. Professionelle Eskalierer sind für mich Leute, die es gezielt darauf anlegen, anderen ihr Gesicht zu NEHMEN. Ob wortwörtlich durch Löschungen, oder im übertragenen Sinne durch Beleidigungen („Covidioten“, „Aluhüte“ etc.), Zuschreibungen („rechts“, „Verschwörungstheoretiker“ etc.) oder auch „Faktenchecks“, mit denen keine „Fakten gecheckt“, sondern Personen diskreditiert werden, die nicht „auf Linie sind“. Warum macht man das?
Ob in internationalen Konstellationen der Weltpolitik oder im Kleinen: „Gruppe Macht“ hat in der Regel eine andere Wahrnehmung dessen, was „richtig“ ist, als „Gruppe chancenlos“. Aufgrund ihrer Wahrnehmung geht sie davon aus, dass es gerechtfertigt sei, „Gruppe chancenlos“ zu beleidigen und von ihr zu verlangen, ihre Bedürfnisse zurückzustellen und sich anzupassen, da deren Bedürfnisse eben falsch oder zumindest weniger wert erscheinen, als die eigenen. Und weil sie die Macht hat, neigt sie dazu, ein anderes Verhalten mit Sanktionen zu bestrafen. Und „Gruppe chancenlos“ neigt folgerichtig dazu, frustrierter und wütender zu werden.
Kommunikation kann in einem solchen Fall nur dann gelingen, wenn jede Seite bereit ist, sich auch ein Stück weit auf die Wahrnehmung der jeweils anderen Seite einzulassen. Deren Wahrnehmung für möglicherweise genauso richtig oder falsch zu halten, wie die eigene. Und deren Bedürfnisse als potentiell genauso wertvoll und wichtig wie die eigenen. Nur, wenn beide Seiten bereit sind, bei den eigenen Bedürfnissen auch zurückzustecken, sind Kompromisse möglich. Und nur dann ist es möglich, dass Kompromisse auch von beiden Seiten akzeptiert werden.
Der Versuch, Spannungen abzubauen und Kompromisse anzubieten, mit denen auch die „Gruppe chancenlos“ ein Stück weit leben könnte, muss dabei in solchen Konstellationen zwingend von der „Gruppe Macht“ ausgehen. Denn der „Gruppe chancenlos“ zu sagen, sie solle „Spannungen abbauen“ (aufhören mit ihrer Kritik), hieße nichts anderes, als zu fordern, sie solle gefälligst zur „Gruppe Macht“ übertreten und deren Ziele und Weltsicht übernehmen. Oder sie solle zumindest ihren Mund halten und aufhören, die „Gruppe Macht“ zu nerven. DAS ist kein Kompromiss. Und es hilft auch nicht!
Und das gilt längst nicht nur für Corona … .