
Sie saßen in der Redaktionsstube und grübelten, welche Schlagzeile wohl am meisten Aufsehen errege, damit der Zeitungsjunge möglichst viele ihrer Zeitungen an den Mann bringen würde.
Das Geschäft war hart. Jeden Tag brauchte es neue Schlagzeilen. Und nur, wenn es gelang, diese ins Auge stechen zu lassen, würden die Leute die Zeitung kaufen.
Die Schlagzeile musste aggressiv sein. Sie musste packen. Sie musste Emotionen erzeugen.
Wut und Angst.
Wut auf andere zu projizieren, das ist für Männer bereits seit Generationen Beweis ihrer Männlichkeit.
Ängste haben ein Suchtpotential. Töchter fühlen eine Verbindung zur eigenen Mutter sowie ihrer gesamten weiblichen Ahnenlinie über diese Ängste. Denn Frauen haben Angst vor der männlichen Wut.
Den Zeitungseignern war das bewusst.
Sie nutzten es, um möglichst viel Profit zu machen.
Sie erschufen Bösewichte, auf die die Männer wütend sein könnten. Und vor denen die Frauen Angst haben würden.
Mit dem Finger auf andere zu zeigen, ermöglichte ihnen gleichzeitig, sich selbst als die „Guten“ darzustellen.
Wer würde schon daran zweifeln, dass die gut sind, die das Böse anprangern?
Wer würde schon daran zweifeln, dass es „DIE Guten“ und „DIE Bösen“ gibt?
Schließlich wusste jeder, die Welt war rau.
Und irgendjemand musste Schuld sein.
Trotz blühender Phantasie war es für die Redakteure manchmal schwierig, die Vorgaben der Eigner zu erfüllen. Der Eigner, die weit über ihnen saßen. Und für die die Redakteure ihre Geschichten anschafften.
Das Geschäft hatte etwas von einem Zylinder, in den die Geschichten von unten hineingestopft und über die Stockwerke dann so angepasst wurden, dass oben das herauskam, was die Eigner wollten.
Und die wollten Dynamit.
Action. Zerstörung. Rauch.
Möglichst viel Rauch zu erschaffen, war Teil ihres Kalküls.
Denn Rauch vernebelte die Sicht.
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Ein Beitrag zu den abc-Etüden, deren aktuelle Einladung hier https://365tageasatzaday.wordpress.com/2022/03/06/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-10-11-22-wortspende-von-makeachoicealice/ zu finden ist.