abc-Etüde 06.07.21 Erwartungsmanagement

Sie waren hohes Risiko gefahren bei der Weichware AG, aber es hatte sich gelohnt. Ihre Börsenperformance suchte ihresgleichen. Sie hatten alles mit den Marketingleuten mehrfach vorher penibel durchgespielt: Wie brachte man ein Handy mit einer neuartigen Software unter die Leute – unabhängig von deren Bedarf?

Erwartungsmanagement war das Zauberwort. Erst eine riesengroße Werbekampagne. Dauerberieselung, egal wie teuer.

„Sie müssen das neue Produkt als eine Art Messias hinstellen. Die Lösung aller Probleme. Wer es nicht hat, verpasst sein Leben. Immer wieder wiederholen! Irgendwann glauben es alle.

Nutzen Sie aus, dass Menschen zur Mehrheit gehören wollen! Verkünden Sie, dass nach Ihren Marktforschungsstudien schon 80 % aller Deutschen sich IHR Handy wünschen.

Und lassen Sie auf keinen Fall zu, dass Kritiker zu Wort kommen. Jede Kritik an dem Produkt müssen Sie im Ansatz blockieren. Niemand sollte befürchten, dass die Software des neuen Handys wohlmöglich ungünstig mit seinen vorhandenen Systemen interagieren könnte. Schließlich passiert das ja wohl auch nur in seltenen Fällen.“

Der nächste Schritt war eine künstliche Verknappung des Produkts gewesen:

„Sie müssen die Sehnsucht wecken! Es muss etwas Begehrenswertes sein, zu den Auserwählten zu gehören. Losen Sie diese aus. Filmen Sie die Übergabe an die ersten Glücklichen und zeigen Sie immer wieder, wie zufrieden diese wirken.“

Und weiter ging es:

„Wenn das Interesse abzuflauen droht, versprechen Sie, dass die glücklichen Käufer noch Add-On’s erhalten werden. Exklusiven Zugang zu begehrten Veranstaltungen u.ä..“ 

Alles lief perfekt.

Und dann hatte ihr oberster Chef, dieser blöde Affe, ein Interview gegeben und durchblicken lassen, dass das Handy doch nicht so sicher sei. Der Börsenwert war innerhalb von Sekunden in den Keller gerauscht. Sie waren immer noch fassungslos.

Aus dem Radio ertönten die Nachrichten: 

„Wie aus gut informierten Quellen zu erfahren war, ist der Chef der Weichware AG heute zu Microsoft gewechselt. Man munkelt über ein hohes 6stelliges Gehalt.“ 

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Inspiriert durch ein Gedicht von Christian bei Wortverdreher (#Ausdruck der Woche, Erwartungsmanagement ‹ wortverdreher ‹ Reader — WordPress.com).

Mit Dank an Christiane für ihre Mühe mit den Etüden (hier die Regeln: Schreibeinladung für die Textwochen 06.07.21 | Wortspende von Wortman ‹ Irgendwas ist immer ‹ Reader — WordPress.com) und an Torsten von Wortman für die diesmalige Wortspende.

Veröffentlicht von lachmitmaren

Stimme der Göttin. Schon lange fast nur noch ernst. Manchmal sehr wütend, manchmal sehr verzweifelt. Oft traurig. Und nur noch sehr selten verspielt und albern. Gute Zuhörerin. Einfühlsame Leserin. Vielseitig interessiert. Meine Texte sind immer tiefgründig. Sie sind kritisch gegenüber "Vorgaben" "von Oben" und sie hinterfragen ursachenorientiert. Meine Berufung ist Heilung. Ich bin Volljuristin, staatlich geprüfte Heilpraktikerin, zertifizierte Lachyoga-Leiterin - Und Rheumatikerin seit über 30 Jahren.

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21 Kommentare

  1. Großartig gezeigt, wie Werbung gehandhabt wird und meistens erfolgreich ist, außer …. der Chef springt plötzlich aus der Reihe, weil ein größerer Profit winkt, und alle, die hofften, sind nun die Dummen. Ja, nicht auf jede Werbung hereinfallen!

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  2. Beim Lesen hatte ich die Firma mit dem angebissenen Obst als Logo in Verbindung mit der neuesten gehypten Kommunikations- und Treffpunkt-App Clubhouse im Hinterkopf.
    Klasse auf den Punkt gebracht, wie Marketing funktioniert. Der ernste Hintergrund: Viele Verbraucher lassen sich anscheinend immer noch ganz gerne vereimern. Irgendwo hat wohl jeder seinen wunden Punkt, der ihn anspricht…

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  3. Ich würde deiner Darstellung in so wenigen Details widersprechen, dass ich das eigentlich ziemlich schlimm finde 😉 Ja, das ist Marketing, und manchmal ist es echt erschreckend.
    Abendgrüße und vielen Dank! 😀

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    1. Ja, manche Marketingstrategien und Tricks können mich schon ziemlich ärgern. Ich bekomme gerade ständig Kataloge weiter geleitet, die eigentlich an meine Mutter gerichtet waren, von einem bestimmten Versandhandel, bei deren so offensichtlich auf Senioren abgestimmten Strategien ich regelmäßig an die Decke gehe …
      Liebe Abendgrüße an dich
      Maren

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